Augusta (dpa) – Vor sechs Jahren schien die Golf-Karriere von Leonie Harm mit einem Schlag beendet zu sein. Bei einem schweren Verkehrsunfall entging sie nur knapp dem Tod. Nun kann die 21-Jährige aus dem schwäbischen Gerlingen Zeugin einer Zeitenwende sein: Am 6. April wird im elitären Augusta National Golf Club an der Magnolia Lane erstmals die Finalrunde eines Damen-Turniers ausgespielt.
Leonie Harm ist eine von 72 Spielerinnen, die bei der Augusta National Women’s Amateur Championship starten, quasi als Vorprogramm, denn Tiger Woods und Co. spielen wenige Tage später um den Masters-Titel und das berühmte grüne Jackett. Nur die besten 30 Amateur-Golferinnen qualifizieren sich für den Schlusstag auf dem wohl bekanntesten Golfplatz der Welt im US-Bundesstaat Georgia, wo bis 2012 ausschließlich Männern das Privileg vorbehalten war, den weißen Ball über die Spielbahnen zu schlagen.
An jenen Morgen des 3. Mai 2013, an dem der schreckliche Unfall passierte, hat Leonie Harm nur noch bruchstückhafte Erinnerungen. Vor der Schule bricht sie zum Joggen auf. Als die talentierte Golferin eine Hauptstraße überquert, wird sie frontal von einem Auto erfasst – mit rund 70 Stundenkilometern. «Warum ich über die Straße gelaufen bin, weiß ich nicht», erinnert sie sich. «Angeblich habe ich mich umgeschaut, bevor ich auf die Straße joggte.»
Im Krankenhaus versetzen die Ärzte die damals 15-Jährige in ein künstliches Koma. Ihre Überlebenschancen bezeichnet Leonie Harm im Rückblick als «gering». Die Namen der schweren Verletzungen füllen eine riesige Krankenakte: Schädel-Basis-Bruch, die Hüfte, das Fußgelenk sowie eine Rippe sind angeknackst. Auch das Felsenbein, das das Innenohr umgibt, ist ebenfalls gebrochen. Die Lunge ist geprellt, Hämatome haben sich im Gehirn gebildet.
Doch Leonie Harm kämpft. «Nach fünf Tagen war ich wieder einigermaßen wach», erzählt sie. «Nach zwei Wochen habe ich mich aus dem Krankenhaus entlassen, und nach ungefähr sieben Wochen konnte ich langsam wieder Golf spielen.» Schier unvorstellbar. Als bleibende Schäden behält sie «nur ein eingeschränktes Hörvermögen auf meinem rechten Ohr und damit auch einen schlechten Gleichgewichtssinn».
Heute, sechs Jahre später, steht die junge, selbstbewusste Frau mitten im Leben. Seit 2016 studiert sie dank eines Sport-Stipendiums Biochemie an der Universität von Houston in Texas und spielt im Uni-Team der Houston Cougars erfolgreich Golf. In den Sommermonaten reist sie immer wieder nach Deutschland, um an den Mannschaftsspielen für den Golf Club St. Leon-Rot zu starten.
Ob professionelles Golf oder doch eine Karriere in der Forschung – diese Zukunftsfrage treibt Leonie Harm derzeit um. «Ich tendiere derzeit dazu, der Profilaufbahn einen Versuch zu geben. Falls das nicht klappen soll oder es mir doch nicht so viel Spaß machen würde, will ich in die Krebsforschung einsteigen.»
Im Sommer 2018 feiert Leonie Harm einen ihrer bisher größten sportlichen Erfolge. Im englischen Southport gewinnt sie als erste Deutsche die British Ladies Amateur Golf Championship. Dieser Sieg ist die Eintrittskarte für die Turnierpremiere in Augusta. Ab diesem Mittwoch stehen für die Schwäbin die ersten beiden Runden im Champions Retreat Golf Club – 20 Kilometer entfernt vom Augusta National – an. Mit Sophie Hausmann ist eine weitere Deutsche am Start, die in den USA lebt und studiert.
«Wir sind uns sicher, dass dieses Event einen erheblichen und andauernden Einfluss auf die Zukunft des Damen-Golf haben wird», sagt der Vorsitzende des National Golf Clubs, Fred Ripley. Mit der Zeit könnten davon auch die Profi-Damen profitieren.
Frauen und der Augusta National Golf Club – bisher passte das nicht zusammen. Der Club ist einer der elitärsten der Welt. Er wurde 1932 gegründet und war 80 Jahre lang eine reine Männer-Bastion. Erst nach jahrzehntelanger Debatte nahm der Privatclub 2012 die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice und die Unternehmerin Darla Moore als erste Frauen auf.
Daher gleicht die Ausrichtung eines Damen-Turniers einem Quantensprung. «Ich finde es sehr schade, dass es im Golfsport bis ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gedauert hat, um festzustellen, dass diese Plätze auch für Frauen spielbar sein sollten», meint Leonie Harm. «Dieses Turnier setzt ein wichtiges Statement, und ich freue mich, die Chance zu haben, ein Teil davon zu sein.» Auch wenn es am Samstag im Augusta National Golf Club keinen Masters-Titel oder ein grünes Jackett zu gewinnen gibt. Zur Facebook-Fanseite von Leonie Harm.
Von Marc Möller, dpa